Versuchs-Kernkraftwerk

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Das Versuchskernkraftwerk AVR Jülich speiste von 1967 bis 1988 Strom in das öffentliche Stromnetz. Seither beschäftigten sich viele Menschen mit dessen „Entsorgung“, die sich wegen der hohen Kontamination sehr langwierig gestaltet. Mit anderen Worten: Die Menschen, die eines Tages dann die letzten Handgriffe werden tun können, die müssen erst noch geboren werden. Die ihnen von uns überlassene Aufgabe wird ihnen viel Arbeit, aber keinen Nutzen bereiten (und gleichzeitig dürfen sie auch noch Rentenzahlungen finanzieren). „Was haben die sich damals eigentlich gedacht, als sie dieses Kraftwerk gebaut und eingeschaltet haben?“ – dieser Gedanke wird sich ihnen dabei vermutlich aufdrängen. Ein Filmdokument aus dem Jahr 1972 gibt einige Hinweise, auch wenn der Film aus heutiger Perspektive eher wie eine Satire erscheint (zu Jülich insbesondere Ausschnitt 2:27 – 4:28) > UFA-Dabei 906/1973 – Filme des Bundesarchivs

Nach der Stilllegung des Versuchskernkraftwerkes wurden sukzessive Berichte öffentlich, nach welchen es während dessen Betriebszeit verschiedentlich zu Störfällen kam. Diese „Unregelmäßigkeiten“ wurden jedoch möglichst heruntergestuft oder verschwiegen, um den Mythos der „inhärenten Sicherheit“ dieses Reaktortyps (in Fachkreisen aus NRW-Staatsreaktor genannt) aufrecht zu erhalten. Diese Störfälle wurden rückblickend von einer externen Expertengruppe untersucht, jedoch konnten „trotz der umfangreichen ausgewerteten Unterlagen und der geführten Fachgespräche nicht alle Sachverhalte abschließend geklärt werden.“ So bleibt zum Ende insbesondere die offene Denk-Aufgabe: Welche Strukturen sind in Betrieben oder staatlichen Organisationen solcher Art und Größe notwendig erforderlich, damit eingetretene Störfälle eben nicht verheimlicht und Risiken nicht zweckdienlich kleingerechnet werden. Im Beispiel des AVR-Jülich spielte diesbezüglich der „Whistleblower“ Rainer Morrmann eine besondere Rolle. 2011 erhielt er den „Whistleblower-Preis“. Wie wichtig „Whistleblower“ sind, wird in diesem Filmbeitrag beleuchtet >

Zurück zum Rückbau des stillgelegten Kraftwerks: Allein der eigentliche Reaktorbehälter muss nach dessen Ausbau erst noch für mindestens sechzig Jahre in einer eigens hierfür errichteten Halle zwischengelagert werden, bevor er dann irgendwann und irgendwie einmal in Richtung einer Endlagerstätte weiter bewegt wird. Vermuten wir also einmal, dieser Reaktor wird im Jahre 2080 dann endlich in irgend einem Loch verschwinden und gehen wir weiter davon aus, dass der diese Arbeiten leitende Ingenieur dann vielleicht 50 Jahre alt ist, so bedeutet dies, dass dieser Mensch in etwa 25 Jahren geboren werden wird. (Bei seiner Geburt schenke man ihm Weihrauch und Myrre.)
Für den „einfachen Bürger“ hört sich das heute recht aufwendig und dramatisch an – das ist es aber auch. Ein deutsches Endlager gibt es gegenwärtig noch keines. Immerhin hat Deutschland nun 25 Jahre nach Stilllegung dieses Versuchs-Atomkraftwerks schon einmal ein Standortauswahlgesetz – „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze“. Die Ziele dieses Gesetzes erklärt und kommentiert mit etwas ironischen Worten der unten verlinkte Filmbeitrag. Und doch: Im Erkennen und Wissen um die Risiken und Gefahren, mit welchen (beispielsweise) dieses stillgelegte Atomkraftwerk kontaminiert ist, ist die Gesellschaft dazu (selbstverschuldet) verurteilt, über bisherige Denkbarrieren hinweg eine sowohl technisch als auch gesellschaftlich bestmögliche Lösung dafür zu finden, diesen Dreck nun wieder „aus der Welt zu schaffen“.

(Foto oben: „Hogetemperatuurreactor-3“ von Maurice van Bruggen. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons)

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