Wolfhagen hundertprozentig

Windpark

12.08. Einige Mitwirkende der Initiative Wolfhagener Land gegen Suedlink erwarten mich bei der Weidelsburg nahe Wolfhagen. Liebevoll haben sie neben einem Wanderparkplatz ein Picknick für mich bereitet. Wir reden über das Wandern und Pilgern und die Erfahrungen, die man dabei so machen kann. Etwas später kommt noch Dekan Gerlach zu der Runde hinzu. Er weiß zu erzählen von einem Protestpilgerweg nach Würgassen, entlang dem seiner Zeit von Pilgern kleine Eichenbäume gepflanzt wurden, um ein Zeichen zu setzen für Frieden und Gerechtigkeit und für die Schöpfung. Doch diese Eichen wurden nicht alt, sondern alsbald wieder ausgerissen von Menschen, die an den Fortschritt glaubten. Natürlich sprechen wir auch über die geplante Stromtrasse namens Suedlink, die hier durch die Region führen soll. „Sobald man sich eingehender damit befasst, stößt man auf Ungereimtheiten“, so die einhellige Meinung der Anwesenden. Sie werten es als Erfolg, dass sich bereits bundesweit zahlreiche Initiativen zusammengeschlossen haben zu einem  Bundesverband. Anstatt gigantischer Stromautobahnen fordern sie eine dezentrale Energieversorgung – wie man dies in Wolfhagen besichtigen kann.

13.08. Das Foyer des Verwaltungsgebäudes der Stadtwerke Wolfhagen gleicht so ein bisschen einem Heizungskeller. Das ist durchaus Absicht, denn es ist Teil einer Botschaft. Ausgestellt sind Wandquerschnitte von Passivhäusern, Modelle für dreifach verglaste Fenster, für Wärmetauscher und Wärmespeicher und anderes mehr. Hier wird deutlich: Die Mitarbeiter der Stadtwerke Wolfhagen wollen nicht lediglich ihre Kunden mit Energie versorgen. Sondern die Kunden sollen möglichst wenig von dem angebotenen Gut abnehmen. Und der Strom, den die Stadtwerke zu liefern dann doch bereit sind, soll zu 100 % aus regenerativen Energien gewonnen werden, und dies, bitte schön, zudem ausschließlich in der Region. Im Jahr 2008 beschloss die Stadtverordneten-Versammlung diese Wolfhagener Energiewende: So viel Strom, wie von Bürgern, Gewerbe und Industrie in der Stadt übers Jahr gesamt verbraucht wird, so viel Ökostrom soll zu hundert Prozent übers Jahr gerechnet auch in der Region erzeugt werden. Und die ausnahmsweise  einmal sympathischen Hundertprozentigen haben hierzu einiges unternommen. Ende 2014 ging ein Windpark auf dem nahen Rödeser Berg ans Netz. Mit einem E-Mobil werde ich zu diesem Ort gefahren. Am Tag der offenen Windparkbaustelle kamen über 2000 Bürger an diesen Ort, um sich ein Bild zu machen. Die Bürger waren es auch, die zu einem großen Anteil ihre Energiewende finanzierten: Die „BürgerEnergieGenossenschaft Wolfhagen“ hält heute 25% des Stammkapitals der Stadtwerke. Mit ihren privaten Geldeinlagen – 500 € kostet ein Geschäftsanteil – stockten die Kunden das Stammkapital der Stadtwerke um über 2,3 Millionen Euro auf. Das Geld floss auch in einen Solarpark der Stadtwerke. Zu einer besonderen Photovoltaikanlage werde ich noch gefahren. Die ehemalige Panzergarage der Pommernkaserne wurde umgebaut zu einer Schule – das Außergewöhnliche hierbei ist das Dach, welches aus transparenten Solarmodulen besteht.

Es ist eine Anerkennung auch für die Bürger, als im Jahr 2010 der Stadt Wolfhagen der Preis „Energieeffiziente Stadt“ zugesprochen wird. Den Stadtwerken ist dies Ansporn, weitere Konzepte zur Energiewende zu entwickeln. Herausforderungen gibt es genug. Beispielsweise lässt sich ja nicht beeinflussen, wann die Windräder und Solaranlagen Strom erzeugen – vielleicht lassen sich aber die Zeiten des privaten Stromverbrauchs lenken. Vielleicht könnte man also das Einschalten der Geschirrspülmaschine, der Waschmaschine, des Staubsaugers oder das Hochdrehen des Gefrierschranks an die Verfügbarkeit von Wind- und Sonnenstrom koppeln? Dann müsste in jenen Phasen, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, auch weniger Strom aus dem Netz abgerufen werden. Die ersten entsprechend ausgerüsteten Haushaltsgeräte für dieses Modellprojekt werden in Kürze ausgeliefert. Und ich stell mir schon vor, wie im Radio endlich nicht mehr diese blöden Verkehrsnachrichten, sondern stattdessen stündliche Ansagen zum Wind- und Solarstromaufkommen durchgegeben werden.

Was ist die Motivation, eine solche regionale Energiewende „zu wuppen“? Sicher ist es nicht bloß die „Idee“, für den persönlichen Geldbeutel ein paar Euro an Haushalts-Stromkosten einsparen zu wollen (oder mittels Cross-Border-Leasing-Verträge für die kommunalen Betriebe Steuern einsparen zu wollen). Es geht darum, die Zukunft zu gestalten und dies nicht internationalen Konzernen zu überlassen. Es ist so ziemlich ein Gegenmodell zum Wirtschaftsliberalismus. Und da ist es nur folgerichtig, wenn sich Wolfhagener Bürger genau informieren und sich auch einmischen bei den Planungen zum „Suedlink“.

image  PV-Dachanlage

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