27.08. Pilger finden in Cobstädt eine freundliche Herberge. Das ist überraschend, denn Cobstädt ist klein. Üblicherweise wird eine Häuser-Ansammlung dieser Größe als Dorf bezeichnet – doch gibt es das bei uns überhaupt noch: ein Dorf? Allein der Umstand, dass einige Häuser in räumlicher Nähe beisammen stehen, macht ja noch kein Dorf. Auch in Cobstädt gibt es – wie in fast allen sogenannten „Dörfern“ unserer Zeit – kein Lebensmittelgeschäft, keinen Bäcker, keinen Schlachter, keinen Friseur, keine Gaststätte etc. Und doch leben die meisten Einwohner einen modernen, im Prinzip städtischen Lebensstil. Die am Ort fehlenden Angebote und Funktionen werden mittels privatem PKW individuell „importiert“ aus der nächst gelegenen Stadt. Wer dazu nicht (mehr) selbst in der Lage ist, benötigt auch bei den grundlegendsten alltäglichen Besorgungen permanent Hilfe. Orte mit solcher Struktur haben nur begrenzte Entwicklungsperspektiven – sofern man die gängigen, städtischen Lebensstile als Maßstab zu Grunde legt.
Immerhin, Cobstädt könnte wieder ein Dorf werden. Das LebensGut Cobstädt arbeitet daran. Derzeit etwa zwanzig Erwachsene und sechs Kinder gehören zu dieser Gemeinschaft, die verteilt auf sechs alte Höfe im Ort leben. Die Wohnformen variieren von alleinstehend bis Wohngemeinschaften, erzählt mir Thomas Penndorf. Er hatte sich 2004 für die Gründung des LebensGutes wesentlich engagiert. Um eine gewisse Vielfalt zu fördern, wirtschaftet jeder Hof zunächst für sich eigenständig, doch gibt es starke Verbindungen und Kooperationen zwischen den Höfen. So werden etwa Maschinen und Fahrzeuge gemeinsam genutzt, die sich für einen Hof alleine nicht lohnen würden. Ein vom LebensGut initiiertes Projekt kam mir auf meinem Weg hierher bereits zugute: Eine besonders schmackhafte Birne, die ich von einem noch jungen Baum am Wegesrand pflückte. Diese Birne war eine jener alten und seltenen Obstsorten, die entlang dem Ökumenischen Pilgerweg gepflanzt werden. Eintausend verschiedene Obstbäume sollen es einmal werden. Überhaupt ist der Erhalt alter Gemüse- und Obstsorten, die Bewahrung der Kulturpflanzenvielfalt für Thomas Penndorf ein wichtiges Anliegen – „um es nicht Monsanto und Co zu überlassen“. Ansonsten sind in Cobstädt inzwischen entstanden: „Eine Baumschule, eine eigenständige Gärtnerei, Naturerlebnispädagogik, Sozialarbeit, eine Schmiede, eine Imkerei, ein Landwirtschaftsbetrieb, eine Backstube und Wirtschaftsküche, einen im Aufbau befindlichen Schaugarten, eine Holz- und Künstlerwerkstatt, eine umfangreiche Tierhaltung von Schafen, Ziegen, Ponys, Hühnern und eine Käserei“ (Selbstdarstellung LebensGut). Auch ein kleiner Hofladen wurde im Ort eröffnet. Und die Gemüsewerkstatt Grünschnabel verkauft die in Cobstädt angebauten Bioprodukte darüberhinaus auch auf dem Markt im nahen Erfurt. Ebenso wird der im LebensGut hergestellte Ziegenkäse dort verkauft. Auf diese Weise entstehen allmählich wieder unmittelbare, für den Einzelnen nachvollziehbare Stadt-Land-Beziehungen – wenn auch in kleinen Schritten: Der enorme Sanierungsbedarf der genutzten Gebäude springt einem regelrecht ins Auge. Auch mit viel Geld wäre das immer noch eine große Aufgabe. So empfinde ich während meines Besuchs das am meisten Bemerkenswerte die Zuversicht und das Selbstvertrauen, mit welchem hier versucht wird, einen unabhängigen Weg in die Zukunft zu finden. Und obwohl damit bereits alle genügend Aufgaben hätten, wird jährlich gemeinsam ein „Fest der Kulturen“ gestaltet, bei dem sich die eingesessenen und die neu hinzugekommenen Menschen der Region kennenlernen sollen. Ich selbst bin für einen halben Tag zu Gast, erhalte hierüber zwangsläufig nur einen ersten, vagen Eindruck. Aber schon dabei ist zu spüren, dass die Menschen hier einen Traum haben – jenseits bloßer Besitzstandswahrung. Und sie versuchen, ihrem Traum näherzukommen, auch ohne dass sie über Millionen verfügen. Ein Jahrzehnt sind sie damit nun schon durchs Leben gekommen.