13.09. Von Freiberg aus kommend gelange ich in den Tharandter Wald. Über mehrere Kilometer gehe ich immer schnurgeradeaus weiter auf einem breit ausgebauten Forstweg. Ist das noch Wald? Etwas gelangweilt erreiche ich schließlich den Ort Tharandt. Das kleine Städtchen ist gekennzeichnet durch eine stark ausgeprägte Topografie und durch die stark befahrene Straße, die den lauten Verkehr entlang dem engen Tal mitten durch den Ort führt – keine leichte Lage. Umso bemerkenswerter sind die Dinge, die mir hier auffallen: Das alte Bahnwärterhäuschen, das als solches nicht mehr genutzt wird, zeigt sich in liebevoll saniertem Zustand und dient an den Wochenenden als Veranstaltungsort und Café (der Kuchen schmeckt lecker). Ein Bio-Laden und ebenso ein Secondhandshop sind heutzutage an sich keine Besonderheiten mehr; in einem Ort dieser Größe aber schon. Ebenso das Mehrgenerationenhaus Kuppelhalle Tharandt, welches Angebote für alle Generationen unter einem Dach zusammenbringt. Dann stoße ich noch auf ein weiteres Projekt, wie man es ebenfalls eher aus Großstädten kennt: Ein eher unscheinbares, (noch) graues Haus wird gegenwärtig saniert, was augenscheinlich mit einem hohen Anteil durch Eigenarbeit erfolgt. Wie ich später erfahre, ist das Haus im Eigentum der „Wohnbesitz GmbH“. Diese „Firma“ wurde eigens für dieses Hausprojekt gegründet. 51% der Anteile gehören dem „Hausverein“, der aus den Mietern besteht: Sechs Erwachsene und zwei Kinder teilen sich die etwa 200 qm Wohnfläche. Die restlichen 49% steuerte das „Mietshäuser Syndikat“ bei und unterstützte hierdurch den Hauserwerb wesentlich. Bundesweit wurden auf diese Weise bereits annähernd hundert Hausprojekte realisiert. Jedes Hausprojekt agiert autonom, rechtlich selbstständig in der Rechtsform der GmbH. Allen Projekten gemeinsam ist der kollektive Wunsch nach einem Haus mit bezahlbaren Räumen, in dem es sich selbstbestimmt leben lässt, das nicht durch Hausverkauf oder Umnutzung latent bedroht ist, dem nicht irgendwann die Zwangsräumung oder Abrissbirne winkt (Quelle: syndikat.org). Nach vorne denken auch die Menschen auf der Johannishöhe in Tharandt. Zwei Familien leben hier in einer Gemeinschaft. Mit der von ihnen angebotenen „selbstbestimmten Bildungsarbeit“ möchten sie einen bewussten und respektvollen Umgang mit der Erde vermitteln. Dabei geht es zum Beispiel um Saatgutvermehrung, um Getreidevielfalt in der Küche, mithin um eine „enkeltaugliche Landwirtschaft“, bei welcher anstatt kilometerweiter Monokulturen die Landschaft wortwörtlich wieder erblühen soll, damit Bienen und andere Insekten reichlich Nahrung finden können.
Warum begegne ich gerade in dieser Kleinstadt gleich mehreren sozial innovativen Projekten? Sicher hängt dies mit der TU Dresden zusammen, deren Fachrichtungen Umweltwissenschaften und Forstwissenschaft hier angesiedelt sind: „Sie finden Nachhaltigkeit modern? Wir auch – seit 300 Jahren“ verkündet ein großes Werbebanner an dem neuen Fakultätsgebäude. Tatsächlich ist die Geschichte der Nachhaltigkeit eng verwandt mit der Geschichte der Forstwirtschaft: Immer dann, wenn es dem Wald schlecht ging, also wenn kein Holz mehr zu ernten war, besannen sich die Menschen eines besseren, begannen, so viel nachzupflanzen, wie sie ernteten. Hier in Tharandt hat die Forstwissenschaft eine ihrer frühesten Stätten. Der 1811 gegründete Forstbotanische Garten Tharandt versammelt inzwischen etwa 1700 Arten. Wer ihn besucht, will anschließend unbedingt mehr erfahren über die Wälder, den Forst und auch über die „Dannensäher“. So beispielsweise über Max Robert Preßler, einem früheren Dozenten der Forstschule Tharandt, der noch die Lehre vom »Holzackerbau« predigte – mit der Maßgabe, damit möglichst schnell Geld zu erwirtschaften. Jene alten prächtigen Bäume, bei denen kein starker Wuchs und mithin auch kein Wertzuwachs mehr zu erwarten sei, die aber jungen Bäumen Licht und Platz streitig machen würden, kanzelte er ab: »Weg mit den faulen Gesellen!« Damals erstarkte das Denken in Nadelholzplantagen, jenen stramm ausgerichteten Fichten-Monokulturen, die unzureichend resistent sind gegen Schädlinge und Windwurf und deren langweilige Einfalt ich beispielsweise auf dem Weg nach Tharandt durchwanderte. (vgl.: Die Wissenschaft ging in den Wald)