Sorge-Landschaft

Schmirchauer Höhe

6.09.–8.09. Ronneburg, Seelingstädt, Zwickau. Von Gera aus wandere ich durch das Gessental in Richtung „Neue Landschaft Ronneburg“. An sich ist dies ein schöner Spazierweg. Auffällig und seltsam sind allerdings die Warnschilder, die in dichter Folge direkt neben dem Gessenbach aufgestellt sind. Darauf ist zu lesen: „ACHTUNG! Bis auf Weiteres ist wegen der Sanierungstätigkeit der Wismut GmbH das Schöpfen von Wasser, das Baden und das Tränken von Tieren untersagt.” Nun, das sage dann auch einmal jemand den Vögeln, den Kröten und den anderen analphabetischen Tieren. Die konnten auch nicht lesen, was in der Zeitung geschrieben stand: „Schwermetallhaltiges Wasser floss jahrelang aus dem Wismut-Revier in das Bett des Gessenbachs. Momentan werden neue Drainageleitungen verlegt, um das in Zukunft zu verhindern.“ (Ostthüringer Zeitung; 11.09.2015) Es wird noch viel Wasser den Gessenbach hinablaufen, bevor die Neue Landschaft Ronneburg „ent-sorgt“ sein wird – also irgendwann einmal ohne Sorge einfach sich selbst überlassen werden kann. Bis dahin ist eine kontinuierlich erforderliche Umwelt-Sorge für diese Landschaft charakteristisch, ohne dass daraus ein unmittelbarer Gewinn oder Mehrwert erzielt würde. Es handelt sich hier also um einen ganz besonderen Typus von Kulturlandschaft: eine Sorge-Landschaft. Die Gestaltung und Bewirtschaftung wird dabei dominiert von der Sicherung bzw. Wiederherstellung ganz zentraler, an sich ganz selbstverständlicher Umweltanforderungen; hier also sauberes Wasser. Darüber kann auch eine Bundesgartenschau nicht hinwegtäuschen, die hier im Sommer 2007 stattfand.

Entlang von drei Tagesetappen, beginnend im Gessental, über Ronneburg, Seelingstädt bis Zwikau, stoße ich immer wieder auf Kontrollbrunnenschächte, auf abgesperrte Deponien und Sanierungsstandorte der Wismut. So, als hätte das Land eine Art Fleckenkrankheit. Diese Sorge-Landschaft einmal zu durchschreiten, verdeutlicht deren räumliche Dimension, auch wenn man dabei stets durch Zäune und Werkstore aus den jeweiligen „Flecken“ als Unbefugter ausgesperrt bleibt. Ersichtlich wird jedoch auch von außen, dass die Sanierungsarbeiten immer noch nicht abgeschlossen sind. Ebenfalls zu erkennen ist dabei, dass die gefundenen „Lösungen“ an vielen Stellen bereits repariert und nachgebessert werden: Da und dort wurde wieder etwas aufgegraben, sind improvisierte Wasserrohre verlegt, wurden Zäune ausgebessert. Ganz offensichtlich verläuft hier die Geschichte nicht nach Plan. Das ist es, was man hier als Wanderer beobachten kann – woraus man sich aber dann doch keinen Reim machen kann. Es bleibt letztlich undurchschaubar. Ebenso bleibt der eigentliche Kern dieser „Neuen Landschaft“ nicht ablesbar: Uran. Ohne entsprechendes Vor­wissen bleibe auch ich als Wanderer im Verhältnis zu dieser „Realität“ nur ein analphabetisches Lebewesen. Nur wer um die Vorgeschichte Uran weiß, bringt diese Flecken-Landschaft mit der großen Weltgeschichte in Verbindung – mit der sowjetischen Atomrüstung, dem Kalten Krieg und auch mit dem Atombombentestgelände Semipalatinsk in der Steppe Kasachstans: Hier wurde das Uran aus der Erde geholt, dort explodierte es in die Luft. Trotz dieses gewaltigen Wahnsinns hat die Menschheit bis heute überlebt. Würde ich an Wunder glauben – dieses müsste ich als das größte betrachten.

Eine erst vor wenigen Tagen fertiggestellte Kapelle erinnert an die Uran-Geschichte dieser Landschaft. Dies kleine Bauwerk „spricht“ mit einer eher leisen Stimme, versucht, sich in die  Topografie einzufügen. Ganz anders hingegen das weithin sichtbare, auf dem Gipfel der nahen „Schmirchauer Höhe“ thronende Zeichen, das in Form einer überdimensional nachgebildeten Grubenlampe das Pathos des Bergmannwesens in die Weite hinausruft. Und doch scheint im Ergebnis der Bergbau-Traditionsverein Wismut mit diesem Erinnerungs-Mal eher ein Vergessen zu befördern: Man kann dieses Zeichen auch lesen als deutliches Symptom einer chronischen Umwelt-Amnesie. Es ist ein Irrlicht. Es umhüllt die Arbeit des Bergmanns mit einer besonders aufgeladenen Aura. Das mag ja durchaus berechtigt sein, behindert aber leider eine abgeklärte und kritische Auseinandersetzung mit den langfristigen Nachwirkungen und Nebenfolgen des erfolgten Bergbaus.

Warnung Bachlauf
Kontrollschacht Kontrollschacht
Kläranlage Alte Lasten
Neue Landschaft Aufstieg
Poesie des Bergmanns Denk- oder Mahnmal
Seelingstädt Zwikau

Kommentare sind geschlossen.